In meinem Dorf, im westfälischen Hoetmar, gab es einen Fußballverein und die katholische Landjugend. Ich spielte in der ersten Mädchenmannschaft, die das Dorf je gesehen hatte – und kurz nachdem der DFB erlaubt hatte, dass Frauen überhaupt im Verein Fußball spielen. In der Landjugend war ich viele Jahre aktiv, hier fing meine Politisierung an. Wir organisierten Friedensgebete, Eine-Welt-Märkte, wir retteten Kröten auf ihrer Wanderung und machten uns auf zum Ostermarsch. 1984 durfte ich zum ersten Mal wählen. Die grünen Stimmen waren in Hoetmar an zwei Händen abzuzählen.
Meine Mutter war früh Witwe, mit sechs kleinen Kindern und einem kleinen Kotten, den sie allein nicht weiterführen konnte. Mit 40 begann sie eine Ausbildung und arbeitete noch fast 20 Jahre als Krankenpflegerin im Schichtdienst. Da war keine Zeit und keine Kraft für Politik. Und dennoch habe ich für mein politisches Denken viel von ihr gelernt: Nachhaltig zu wirtschaften, Ressourcen zu schonen, als Frau und als berufstätige Mutter finanziell unabhängig zu sein. Vieles erkenne ich erst im Rückblick.
Sozialisiert in einem katholischen Umfeld, auf einem Mädchengymnasium und in einem Dorf mit wenig Vorbildern habe ich 1985 meine Studienwahl getroffen: Katholische Theologie war für mich in dieser friedensbewegten Zeit eine durchaus widerständige Studienwahl. Ich studierte politische Theologie, Befreiungstheologie, feministische Theologie. Ich zog in die Niederlande, lernte Catharina Halkes, damals eine Ikone der feministischen Theologie, kennen und baute mir einen bunten Stundenplan – heute würde das Gender Studies heißen.
In der katholischen Kirche wollte man mich als Diplom-Theologin nicht beschäftigen, zu verdächtig war mein feministisches und niederländisches Profil – und irgendwann wollte ich das auch nicht mehr. Nicht für eine Institution arbeiten, die Frauen so beharrlich ausgrenzt und abwertet, die sexualisierte Gewalt leugnet und vertuscht, die homosexuelle Menschen beleidigt und an den Rand drängt. Mir fiel es immer schwer, mich als Theologin zu identifizieren.
Der Weg in meine berufliche Selbstständigkeit war nicht geplant. Während des Studiums hatte ich intensiv in einem feministischen Zeitschriftenprojekt mitgearbeitet, ich machte Praktika beim Radio, arbeitete frei für die Tageszeitung. Ich entdeckte meine Leidenschaft für Menschen und ihre Geschichten, ich mochte die Themenvielfalt, die der Journalismus bietet. Und ich fand bei Frauen & Beruf in Münster einen Ort, an dem viel Raum zum Experimentieren war. Als sich die Chance bot, eine eigene Zeitschrift zu gründen, war ich dabei. „existenzielle. das magazin für frauen in der wirtschaft“ war die bundesweit erste Zeitschrift für Gründerinnen und Unternehmerinnen. Wir wollten Vorbilder zeigen, Unternehmerinnen sichtbar und Frauen Mut zur beruflichen Selbstständigkeit machen. 15 Jahre lang gab es existenzielle, die ich zuletzt bundesweit in meinem eigenen Verlag herausgegeben habe. Was aus dieser Zeit blieb? Die Erfahrung, dass Scheitern schwer ist – und dass es doch irgendwie weitergeht. Mit einem bundesweiten Netzwerk, vielen Kontakten zu Gründerinnen, Unternehmerinnen, Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen und Aktivistinnen, mit denen ich bis heute verbunden bin.
Während die Zeitschrift mehr Geld kostete als sie erwirtschaftete, verdiente ich mein Geld weiter in der Freiberuflichkeit – mit Texten, Redigieren, Moderieren. Mit jedem Projekt, mit jeder Veranstaltung, mit jedem Auftrag lerne ich Neues. Ich habe gelernt, mich in neue Themen tief einzudenken, genau hinzuhören und zu verstehen, wo die Fragen, die Herausforderungen und die möglichen Antworten sind. Über all die Jahre habe ich regelmäßig und viel in Weiterbildung investiert und vor allem meine Fähigkeiten als Moderatorin und Organisationsberaterin weiter professionalisiert.
Ich bin Mutter von zwei inzwischen erwachsenen Kindern. Ich weiß, wie anstrengend es ist, berufstätig zu sein und für Kinder da zu sein. Ich weiß wie es ist, das Geld für eine Familie allein zu verdienen. Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, miteinander ein gutes Leben zu haben.
Ich habe mich immer auch ehrenamtlich engagiert. Im Studium, in der Kita und den Schulen meiner Kinder. Bei der Krisenhilfe in Münster arbeite ich seit 2020 als Beraterin. Wir begleiten Menschen in Lebenskrisen und Suizidgefahr. Und einmal im Jahr bin ich für eine Woche “Bademeisterin” am Badesee in Saerbeck. Ich mag den Rettungswachdienst und den langjährigen Kontakt zu den Badegästen.
2014 bis 2020 war ich in Münster sachkundige Bürgerin für die Grünen im Gleichstellungsausschuss und stellvertretend im Sozialausschuss. Ich wollte mehr darüber wissen, wie meine Stadt funktioniert, wie ich sie politisch mitgestalten kann. 2020 kandidierte ich für den Stadtrat, gewählt wurde ich im Kreuzviertel mit 41 % der Stimmen. Was für ein Rückenwind und was für eine große Verpflichtung.
Im Wahlkampf hatten wir verkehrspolitische Themen in den Vordergrund gerückt – für mehr Sicherheit für den Rad- und Fußverkehr, für schnelleren Busverkehr und für mehr Platz im Straßenraum zugunsten der umweltfreundlichen Verkehre. Inzwischen bin ich Vorsitzende des neu geschaffenen Verkehrsausschusses und erlebe täglich, dass diese Ziele Durchhaltevermögen, viele Dialoge und Zeit brauchen.
Als gleichstellungspolitische Sprecherin der grünen Ratsfraktion mache ich mich vor allem für die Umsetzung der Istanbul Konvention zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt und für eine verbesserte Versorgungssituation bei Schwangerschaftsabbrüchen stark. Das Engagement für Frauen in all ihrer Vielfalt bleibt mein Herzensanliegen.